Rezension zu: Ellen von den Driesch, Unter Verschluss. Eine Geschichte des Suizids in der DDR 1952-1990, Campus Verlag 2021.
Es handelt sich hier um die Langversion der im Juli 2021 bei H-Soz-Kult veröffentlichten Rezension.
Die DDR hatte bekanntlich eine der höchsten Suizidraten der Welt. Zu den Gründen wurde bereits intensiv geforscht. Unstrittig ist, dass das SED-Regime kaum für die hohe Zahl der Suizide verantwortlich gemacht werden kann, da bereits viele Jahrzehnte vor Gründung der DDR die Suizidrate in der Region im Vergleich zu Westdeutschland erhöht war. Aber welche Ursachen hatte dieser langfristige Ost-West-Unterschied dann? Und wieso ist er gegen Ende des 20. Jahrhunderts verschwunden? Zu diesen Fragen gibt es immer noch Forschungsbedarf. Die neue Untersuchung von Ellen von den Driesch weckt dahingehend große Erwartungen, zumal es im Klappentext heißt, dass die Studie auf „verloren geglaubten Daten“ basiert, die die Autorin wiederentdeckt und damit „eine völlig neue Datenbasis“ geschaffen habe. Erstmals erlaube „dieses bisher unveröffentlichte Material eine systematische Analyse der Veränderungen der Suizidraten in der Deutschen Demokratischen Republik“. Einige Medienberichte haben diese verheißungsvolle Ankündigung bereits aufgegriffen, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Auf der Website von ZDF-Aspekte heißt es, dass hier „die Suizidgeschichte der DDR erstmals frei vom ideologischen Ballast der Vergangenheit“ betrachtet werde und die Autorin „zu verblüffenden Schlüssen“ gekommen sei. Und auch die Betreuerin der Doktorarbeit, Jutta Allmendinger, spart nicht mit Lob, wenn sie das Buch in ihrem Vorwort als „vorbildlich“ und „virtuos“ ankündigt. Ulrich Kohler setzt im zweiten Vorwort sogar noch eins drauf und schreibt, dass die Studie „erstmals ein umfassendes Bild der Geschichte des Suizids in der DDR“ zeichne.
Mit dem tatsächlichen Inhalt des Buches hat das alles wenig zu tun. Die Studie hinterfragt nicht die generelle Suizidrate der DDR, sondern beschäftigt sich lediglich mit regionalen Unterschieden. Die Autorin sucht nach Erklärungen dafür, dass Selbsttötungen in den Südbezirken und in Berlin häufiger waren als im Norden. Das ist ein Spezialproblem mit begrenzter Reichweite. „Hier wird Neuland betreten“, lobt Jutta Allmendinger. Das stimmt, aber die Parzelle ist recht klein.
Und auch die Art und Weise, wie das Neuland bearbeitet wird, ist im Kern nicht neu. Bereits 1897 untersuchte Émile Durkheim in seiner klassischen Studie „Le Suicide“ solche regionalen Unterschiede auf breiter Datenbasis. Der Soziologe erklärte diese vor allem mit dem Einfluss von Modernisierung und Desintegration, und ganz ähnlich argumentiert auch Ellen von den Driesch. Unter Verwendung der inzwischen verfeinerten statistischen Methodik weist die Autorin nach, dass sozialstrukturelle Faktoren zu den Unterschieden beigetragen haben. Konkret: Dass sich Menschen in den Nordbezirken der DDR seltener das Leben nahmen als im Raum Sachsen und Thüringen, hatte u.a. damit zu tun, dass dort die Menschen jünger waren, weniger Ehen geschieden und mehr Kinder geboren wurden, dass weniger Menschen in Städten lebten und weniger Frauen berufstätig waren. Eine Stichprobe im Jahr 1964 bestätigt außerdem Durkheims Beobachtung, dass religiöse Bindung mit niedrigeren Suizidraten einhergeht. Auch zeigen sich statistische Zusammenhänge zwischen Unterschieden in der Suizidrate der DDR-Bezirke und Merkmalen der Modernisierung wie Wohnungsneubau und Einzelhandelsumsatz.
Diese Ergebnisse sind im Kern der Forschungsertrag des Buches. Verblüffend sind die Erkenntnisse nicht, aber immerhin wird gezeigt, dass Durkheim – bei aller berechtigter Kritik an seiner konservativ-kulturkritischen Fixierung auf Religion und Familie inklusive seiner frauenfeindlichen Bemerkungen – in methodischer Hinsicht auch noch im 21. Jahrhundert produktiv gemacht werden kann. Darüber hinaus wird das erhobene Datenmaterial jedoch leider nicht auf die offenen Fragen zur Suizidrate angewendet und entsprechend gering sind die neuen Erkenntnisse für die DDR-Forschung bzw. die Suizidforschung generell. Die hohen Erwartungen, die das Buch und vor allem die Werbung des Verlages weckt, werden nicht eingelöst.
Dem Buch fehlt eine wirklich spannende Fragestellung. Stattdessen wird ausprobiert, womit sich die vorhandenen Daten korrelieren lassen, und allerlei Material assoziativ um den relativ kleinen Kern herum gruppiert. Und so verliert sich das Buch über weite Strecken in Exkursen, Abbildungen oder Tabellen, die lediglich der Ausschmückung dienen und keinerlei Erkenntniswert bieten. Welchen Sinn hat es, das Logo der SED, Walter Ulbrichts „Zehn Gebote“ oder ein Schaubild zum politischen System der DDR abzulichten, wenn diese im Text überhaupt keine Rolle spielen? Auch eine seitenlange Collage aus Lehrbuchwissen über den SED-Staat dokumentiert vor allem die Unsicherheit der Autorin, die keine Historikerin ist. So marschierten am 9. Oktober 1989 70.000 „Oppositionelle“ um den Leipziger Ring, Erich Honeckers Rücktritt am 18. Oktober wird mit einem achtzeiligen Zitat betont, das „Neue Forum“ hingegen nicht erwähnt. Letztlich könnte man über diese dilettantischen Passagen hinwegsehen, da das alles später im Buch sowieso keine Rolle mehr spielt.
Auch die Kompilation der bekannten Fakten zur Geschichte der Suizidforschung und -prävention in der DDR, der keine direkten Bezüge zu den später behandelten Themen Desintegration und Modernisierung herstellt, bietet keinerlei analytischen Mehrwert. Es mag auch wissenschaftlich klingen, wenn Fachbegriffe wie „Inzidenz“ und „Prävalenz“ definiert werden, aber wenn sie im gesamten Buch nirgends eine Rolle spielen, wirft das die Frage auf, was hiermit bezweckt werden soll.
Ebenso bleibt der am Ende angefügte Exkurs zum „Werther-Effekt“, wonach Suizide auch infolge Vorbildwirkung (etwa durch Filme oder Medienberichte) ausgelöst werden können, bloße Ausschmückung. Der Exkurs stellt keine Bezüge zur Geschichte der DDR her. Dabei hätte es hier durchaus etwas zum Diskutieren gegeben, seien es seltene lokale Suizidhäufungen (wie in Görlitz oder während der Zwangskollektivierung), oder das DDR-Suizid-Tabu.
Darüber hinaus gerät Kleinteiligkeit mehrfach zum Selbstzweck. So wird auf S. 108 ein Diagramm präsentiert, das die Häufigkeit von Studien zum Suizid in der DDR darstellt. Der Unterschied zu einem publizierten auf nahezu identischer Datenbasis beruhenden Diagramm besteht darin, dass jedes Jahr einen Balken hat, während das frühere Diagramm die Publikationen in Vierjahreszeiträume gruppiert hatte. Das neue Diagramm ist genauer, aber es verfolgt keine Absicht außer der, genauer zu sein, und führt zu keinen neuen Einsichten. Das Gleiche gilt für eine akribisch erstellte Liste aller belletristischen Werke der DDR-Literatur mit Suizidbezug, die bloßes Beiwerk bleibt.
Der Studie mangelt es zudem an einer tiefergehenden Diskussion des Forschungszusammenhanges. Jutta Allmendinger lobt zwar im Vorwort: „Vorbildlich ist nicht nur ihre Datensammlung, sondern auch der Forschungszusammenhang, in den sie ihre Arbeit stellt.“ So kann man aber wohl nur urteilen, wenn man die referierten Texte nicht kennt. Statt den Forschungsstand auf den Punkt zu bringen, werden Aussagen von Suizidforschern kompiliert, ohne diese quellenkritisch zu bewerten. Während die Autorin hinsichtlich ihrer eigenen Arbeit die Zuverlässigkeit ihrer Daten herausstreicht, fragt sie bei Studien anderer Forscher nicht, auf welcher Basis die Aussagen entstanden sind. Spekulationen stehen gleichwertig neben Ergebnissen empirischer Forschung. Im Verlauf von Debatten widerlegte Hypothesen werden ebenso referiert wie im Verlauf dieser Diskussionen gewonnene Einsichten. Einzelne Forschungsergebnisse werden verkürzt referiert; statt die vielen Faktoren, die wahrscheinlich zu einer niedrigen Suizidrate in DDR-Gefängnissen geführt haben, zu referieren, wird die Erklärung auf einen dieser Faktoren (totale Kontrolle) reduziert. Bei der Diskussion des in der DDR durch Reiner Hans Dinkel und Edmund Görtler festgestellten Kohorten-Effektes, der zeigt, dass in der DDR geborene Jahrgänge kaum noch höhere Suizidraten aufweisen als die korrespondierenden bundesdeutsche Jahrgänge, zeigt die Autorin, dass sie diesen nicht verstanden hat (S. 105). Sie verweist auf die erhöhten Suizidraten der jungen Generation der 1960er Jahre als vermeintliches Gegenargument, übersieht aber, dass es sich hier um vor 1950 Geborene handelt. Auch unterläuft der Autorin ein Fehler, wenn sie behauptet, dass die unterschiedlichen Einschätzungen der Suizidrate von Soldaten darauf zurückzuführen seien, „dass Grashoff die NVA-Suizidrate mit der Rate der DDR-Bevölkerung in der Altersgruppe von 20 bis 24 Jahren (vgl. Grashoff 2006: 83) vergleicht, Neubert hingegen mit der Rate der Gesamtbevölkerung.“ Weit gefehlt. Neubert hat überhaupt keine Suizidraten berechnet, sondern nur mit absoluten Zahlen argumentiert.
Zu den Schwächen im Verständnis des Forschungsstands kommen Fehlstellen. So macht die Autorin die „Forschungslücke“ größer als sie tatsächlich ist, indem sie die sozialhygienische Studie von Marita Schulze, die im Jahr 1969 die Suizidraten in den Bezirken der DDR untersucht hat, und die als Referenzpunkt von zentraler Bedeutung gewesen wäre, ignoriert.
Die gleiche additive und oberflächliche Vorgehensweise wie bei der Darstellung des „Forschungsstandes“ findet sich übrigens auch im Abschnitt über die DDR-Geschichte. So werden diverse Angaben über die Opfer des Schießbefehls an der DDR-Grenze aufgelistet, und die Debatte, die um diese Zahlenangaben geführt wurde und zu einem immer besseren Kenntnisstand geführt hat, ignoriert.
Es war ohnehin keine gute Idee, das Buch als Geschichte des Suizids in der DDR zu bezeichnen. Die Sozialstatistikerin von den Driesch verbleibt innerhalb der Denkweise ihres Faches und vermag es nicht, Brücken zur historischen Disziplin zu bauen. Die Arbeit ist mithin, in Kontrast zum Lob der Doktormutter, eher ein Zeugnis gescheiterter Interdisziplinarität. Zwar wird der Verlauf der Suizidraten aller DDR-Bezirke zwischen 1952 und 1990 exakt berechnet, aber historische Erkenntnisse werden daraus nicht abgeleitet. Die Berechnungen der Autorin weisen nach, dass das Nord-Süd-Gefälle zum Teil ein Resultat der unterschiedlichen Altersstruktur ist, dass die Unterschiede sich aber nicht darauf reduzieren lassen. Die dann erstellten altersbereinigten Diagramme führen vor Augen, dass die Suizidraten im Bezirk Rostock generell niedriger waren als etwa im Bezirk Karl-Marx-Stadt. In Berlin fielen die Suizidraten ab Mitte der 1970er Jahre rapide ab. Können wir daraus etwas lernen über die DDR? Ellen von den Driesch sagt dazu nichts.
Stattdessen präsentiert die Autorin Streudiagramme, aus denen die Zeitdimension eliminiert ist. Daher können Auswirkungen historischer Ereignisse wie etwa des Mauerbaus ebenso wenig untersucht werden wie die Abweichung des Kurvenverlaufs der Hauptstadt vom Rest des Landes, oder zeitliche Veränderungen von Korrelationen. Die Eliminierung der Zeitdimension führt im Einzelfall zu einem Verlust von Information. So zeigt eines der Streudiagramme, dass in den Regionen der DDR, wo zwischen 1952 bis 1990 mehr Ehen geschieden wurden, auch mehr Suizide auftraten. Es gibt jedoch Grund zu der Annahme, dass sich der Zusammenhang von Suizid- und Scheidungshäufigkeit in den 1980er Jahren gelockert hat. Mit anderer Methodik hätte auch die historisch interessante Beobachtung, dass die Suizidraten nach 1961 in den an Berlin angrenzenden Bezirken anstiegen, mit dem genaueren Datensatz überprüft werden können. Der Klappentext des Campus-Verlages („eine systematische Analyse der Veränderungen der Suizidraten in der Deutschen Demokratischen Republik“) weckt falsche Erwartungen.
Auch die im Vorwort gelobte „Einbettung in die Zeitgeschichte der DDR“ findet so gut wie gar nicht statt. In der Diskussion der Ergebnisse werden kaum konkrete Bezüge zur Geschichte der DDR hergestellt. Ob das Material auch neue Einsichten zum Verständnis der Ost-West-Unterschiede ermöglichen kann, wird nicht in Erwägung gezogen.
„Als sei das nicht genug, glänzt auch die methodische Expertise,“ lobt Allmendinger weiter. Sie hat offenbar nicht bemerkt, dass ihre Doktorandin bei ihrer Interpretation der eigenen Forschungsergebnisse den selbst gesetzten Standard nicht immer erfüllt. So unterläuft der Autorin ein „ökologischer Fehlschluss“, wenn sie den Einfluss von SED-Mitgliedschaft diskutiert. Sie verwendet als Referenzpunkt für ihren Ergebnisdiskussion die These, dass die Suizidalität in der SED geringer war. Diese These beruht auf insgesamt fünf Stichproben, welche jeweils einen unterdurchschnittlichen Anteil von SED-Mitgliedern an den Suiziden zeigten. Demgegenüber bedeutet die von Frau von den Driesch gefundene Korrelation von SED-Mitgliederzahl und Suizidrate lediglich, dass es in Bezirken mit relativ vielen SED-Mitglieder viele Suizide gab. Aus dem Ergebnis, dass sich in Bezirken mit einem hohen Anteil an SED-Mitgliedern mehr Suizide ereignet haben, kann aber keineswegs gefolgert werden, dass sich dort tatsächlich mehr Genossen das Leben genommen haben. Tragischerweise ist der Autorin das „Problem des Rückschlusses der vorgestellten Korrelationen auf die Individualebene“ (S. 258) durchaus bewusst, sie beachtet es aber in diesem Fall nicht.
Trotzdem ist dieses Ergebnis interessant. Weiterführende Forschungen könnten prüfen, ob es tatsächlich Verzweiflungstaten von Genossen waren, die in Bezirken mit vielen SED-Mitgliedern zu erhöhter Suizidalität führten, oder ob hier ein indirekter Effekt vorlag. Das Gleiche gilt für den Befund, dass Bezirke mit hohen Frauenerwerbsquoten eine hohe Suizidalität aufwiesen. Auch hier kann keinesfalls, wie das Ellen von den Driesch versucht, auf individuelle Suizidursachen geschlossen werden, zumal bisherige Studien keine erhöhte Suizidalität erwerbstätiger Frauen zeigten. Auch hier könnte es sich (zumal die weibliche Berufstätigkeit nicht mit der weiblichen, sondern der Gesamt-Suizidrate korreliert wurde) um einen indirekten Effekt handeln, etwa dahingehend, dass in den Regionen mit stärkerer Frauenberufstätigkeit die familiären Bindungen aufgelöst wurden, was zu mehr Einsamkeit unter älteren Menschen geführt haben könnte.
Der Fauxpas des ökologischen Fehlschlusses verweist auf ein grundsätzliches Problem. Wie konkret könnten Einzelhandelsumsatz, Wohnungsbau oder Leben in einer Stadt die Neigung von Menschen zum Suizid beeinflusst haben? Statistische Korrelationen begründen meistens nur einen Anfangsverdacht, die eigentliche Arbeit beginnt hier erst. Ellen von den Driesch bleibt hier oft auf halber Strecke stecken. Die aufwendige Recherche, die von den Driesch betrieben hat, ist löblich – glücklicherweise ist es ihr sogar gelungen, die geplante Vernichtung der Unterlagen im Bundesarchiv zu verhindern. Nur, was nützt die Recherche, wenn damit keine wichtigen Fragen einhergehen? Leider ist der Datensatz für das Verständnis der Ursachen von Suiziden nur begrenzt nützlich, weil keine zusätzlichen Informationen über die Suizidenten selbst erhoben wurden. Hierfür hätten zum Beispiel die Akten der Kriminalpolizei der Bezirke Dresden und Potsdam genutzt werden können, in denen Originalunterlagen zu Suiziden für jeweils mehrere Jahrgänge enthalten sind.
Irreführend ist schließlich die Behauptung, Ellen von den Driesch hätte die verloren geglaubten Suizidstatistiken der DDR entdeckt – ein angeblich sensationeller Fund, den Ulrich Kohler in seinem Vorwort gar mit der Entdeckung der vermeintlichen Hitlertagebücher im Jahr 1983 vergleicht, nur mit dem Unterschied, dass diese Statistiken echt sind. Tatsächlich sind die Suizidraten der DDR aber seit Jahren bekannt. Die nach Alter und Geschlecht aufgeschlüsselten Suizidraten der DDR wurden 1998 von Werner Felber und Peter Winiecki publiziert. Was die Autorin entdeckt hat, sind die Einzeldaten der Bezirke. Sie hat daraus nun die Gesamtraten neu berechnet, und festgestellt: Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik hat richtig gerechnet. Die bisher in der Forschung verwendeten Daten sind also valide. Auch dieses Ergebnis ist nicht „verblüffend“. Dass es keinen Anlass gab, die seit 1963 geheim gehaltenen Suizidstatistiken zu fälschen, ist ohnehin schon lange Konsens in der Forschung. Sowohl eine 1977 in Ost-Berlin erstellte Geheimstudie als auch nach 1990 erfolgte retrospektive Überprüfungen der DDR-Todesursachenstatistik haben gezeigt, dass die Erfassung der Suizide in der DDR recht verlässlich war und eine im internationalen Vergleich geringe Dunkelziffer im Bereich bis zu 25 Prozent aufwies. Keine dieser vier Studien wird im Buch erwähnt. Da die Validität der verwendeten Statistiken als eine der größten Qualitäten der Studie heraus gestellt wird, überrascht es, dass der Forschungsstand gerade in diesem wichtigen Punkt vernachlässigt wird. Auch der Prozess der Erhebung der Daten wird nur akribisch beschrieben, aber kaum kritisch hinterfragt. Bei der Darstellung des statistischen Erfassungsprozesses werden die Eingriffe der SED in die statistische Praxis nur oberflächlich behandelt. So ist es wohl auch zu erklären, dass im Buch durchgängig 1961 als Beginn der Geheimhaltung angegeben wird, während der Ministerrat den Beschluss dazu erst 1963 fasste. Ob etwa Veränderungen im Erfassungsverfahren die Suizidrate beeinflusst haben könnten, wird nicht diskutiert. Ein solcher Anfangsverdacht besteht zum Beispiel für das Jahr 1968.
Die Diskrepanz zwischen den Lobreden und dem Inhalt des Buches wirft die Frage nach der Preisvergabe-Praxis im akademischen Betrieb auf. Angesichts der genannten Schwachpunkte ist unklar, aufgrund welcher Kriterien das Buch mit dem Nachwuchspreis der Deutschen Gesellschaft für Demographie und dem Preis der Universitätsgesellschaft der Uni Potsdam für die herausragende Dissertation 2020 ausgezeichnet wurde. Eine zweite, kritische Lektüre des Textes hätte der Doktorandin wahrscheinlich mehr geholfen als die Überschüttung mit Auszeichnung und maßlosem Lob.
Ich möchte mit einem Formulierungsvorschlag für einen anderen Klappentext schließen: Das vorliegende Buch ist eine in der Tradition von Durkheim stehende soziologische Studie zu regionalen Unterschieden der Suizidhäufigkeit in der DDR. Mit statistischen Korrelationen wird auf zuverlässiger Datenbasis gezeigt, dass diese Unterschiede durch Indikatoren sozialer Desintegration und Modernisierungsprozesse erklärt werden können.
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Selbsttötungen im Wehrdienst der DDR
(Leipzig, November 2020, in leicht veränderter Form im Deutschland Archiv veröffentlicht)
Im biografischen Handbuch „Todesopfer des DDR-Grenzregimes“[1] stellt Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat drei in meinem bereits 2006 publizierten Buch „In einem Anfall von Depression … Selbsttötungen in der DDR“[2] formulierte Schlussfolgerungen in Frage, sie lauteten:
1. Die Selbsttötungsrate in den Grenztruppen der DDR war nicht höher als in der Nationalen Volksarmee (NVA).
2. Die Selbsttötungsrate in der NVA war generell nicht höher als die in der Zivilbevölkerung.
3. Ein Einfluss DDR-spezifischer politischer und gesellschaftlicher Faktoren auf die langfristig hohe Selbsttötungsrate ist kaum nachweisbar.
Ich verstehe Staadts Kritik als Anregung, meine Ergebnisse noch einmal zu überprüfen und zu überdenken. Bevor ich damit beginne, möchte ich mein Verständnis der Selbsttötungsproblematik darlegen, da Jochen Staadt und seine Co-Autoren einige meiner auf medizinischen Studien beruhenden Aussagen offenbar irritiert haben, wie der Verweis darauf, dass in der Kindheit erlittene seelische Verletzungen ein weitaus stärkeres Potenzial für die Ausprägung von Suizidalität haben als spätere Lebenskonflikte.
Ich habe während der Arbeit an meinem Buch ein „Nebenstudium“ in Suizidologie absolviert), bei dem ich gelernt habe, dass Selbsttötungen primär durch Leidenserfahrungen motiviert sind, die aus psychischer oder körperlicher Dysfunktionalität sowie als frustrierend erlebten menschlichen Beziehungen herrühren. Das weitere soziale Umfeld kann Menschen, die eine gewisse Disposition zum Suizid haben, davon abhalten. Das katholische Milieu mit seiner vergleichsweise geringen Suizidrate ist, wie der französische Soziologe Émile Durkheim gezeigt hat, hierfür ein klassisches Beispiel.[3]
Das gesellschaftliche Umfeld kann aber auch bewirken, dass sich der übliche Kreis der Suizidenten erweitert und dass Menschen, die nur eine sehr schwache Neigung zu Verzweiflungshandlungen haben, und unter normalen Umständen keinen Suizid begehen würden, sich das Leben nehmen. Das kann entweder in Krisenzeiten oder in extrem repressiven Regimen geschehen. Ein klassisches Beispiel für die erste Möglichkeit sind die Selbsttötungen während der Zeit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre, ein eindrückliches Beispiel für die zweite Möglichkeit sind die massenhaften Selbsttötungen von Juden in Reaktion auf die nationalsozialistische Politik der Erniedrigung und Vernichtung. Solche außergewöhnlichen Phasen sind als „Selbsttötungswellen“ in den Statistiken sichtbar.
Daneben gibt es auch langfristige strukturelle Faktoren, die zu höherer Suizidalität in bestimmten sozialen Systemen führen können. Diese konkret zu bestimmen, ist allerdings außerordentlich schwierig. So wurde in Sachsen, Thüringen und anderen ostdeutschen Regionen über viele Jahrzehnte hinweg (im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, im Dritten Reich und in der DDR) eine höhere Selbsttötungsrate registriert als in vergleichbaren westdeutschen Regionen wie dem Rheinland oder Bayern. Unterschiede in der regionalen Mentalität, die wiederum in engem Zusammenhang mit konfessionellen Prägungen stehen, spielen hier offenbar eine Rolle, aber die Ursachenforschung ist keineswegs abgeschlossen.
Die Suizidalität der Grenztruppen der DDR, um die es im Folgenden geht, ist ein Teilaspekt dieses größeren Problems. Die Frage lautet, ob die spezifischen Umstände des Militärdienstes an der Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland bzw. West-Berlin die Zahl der Suizidenten über das normale Maß hinaus erhöht haben. Staadt hat massive Zweifel hinsichtlich meines Untersuchungsergebnisses, dass die Selbsttötungsrate der Angehörigen der Grenztruppen sich nicht wesentlich von anderen Bereichen der NVA sowie von der Selbsttötungsrate der vergleichbaren zivilen Altersgruppe unterschied. Staadt verweist darauf, dass sich im Zuge von Recherchen für das biografische Handbuch über die Todesopfer des DDR-Grenzregimes gezeigt habe, dass bei den Grenztruppen angeblich knapp ein Viertel der Selbsttötungen im Zusammenhang mit dienstlichen Konflikten stand.[4]
Hier müssen zunächst zwei Dinge analytisch auseinandergehalten werden:
Zum einen ist da die Frage, ob es in der NVA Selbsttötungen geben hat, die durch dienstliche Konflikte mitverursacht wurden. Das Forscherteam glaubt, dass ca. 22 Prozent der Selbsttötungen bei den Grenztruppen im Zusammenhang mit dem Dienst im Militär standen. Staadt schreibt über diese Suizidfälle, die in das biografische Handbuch aufgenommen wurden: „Viele von ihnen verrichteten diesen Dienst nicht aus freiem Willen, manche zerbrachen daran. Auch ihnen wurde das DDR-Grenzregime zum tödlichen Verhängnis.“ Das mag für Einzelfälle gelten. Allerdings finden sich, so hat auch Michael Kubina 2020 in einer Replik auf Staadt festgestellt, „bei den allermeisten Fällen bei Schroeder/Staadt keine hinreichenden Belege dafür, dass die ‚dienstlichen Probleme‘, wenn sie denn überhaupt ursächlich für den Suizid waren, auch grenzspezifischer Art waren.“[5] Meine kritische Durchsicht der Suizidfälle ergab, dass lediglich in 24 Fällen spezifische Konflikte des Armeedienstes wie rüder Kasernenton oder Angst vor Strafe eine Rolle spielten.
Die daraus resultierende korrigierte Zahl von 12 Prozent stimmt mit den in zivilen Motivstatistiken enthaltenen Prozentzahlen für berufliche Konflikte (ein bis drei Prozent) oder „Angst vor Strafe“ (vier bis zwölf Prozent) als Suizidmotiv in der DDR überein.[6] Konflikte, die unmittelbar aus dem Grenzregime resultierten, kann ich nur in zwei Fällen, also bei einem Prozent der Suizide, erkennen. Auch das liegt innerhalb der von mir geschätzten Größenordnung von Selbsttötungen im zivilen Bereich, die einen kausalen Zusammenhang zu politischen Konflikten erkennen lassen.
Für die zur Diskussion stehende Höhe der Selbsttötungsrate bei den Grenztruppen ist ohnehin eine andere Frage entscheidend, nämlich die, ob dienstbezogene Konflikte insgesamt zu mehr Selbsttötungen als unter den „normalen“ Bedingungen der SED-Diktatur geführt haben. Staadt stellt meine diesbezüglichen Berechnungen, die im Jahr 2006 ergeben haben, dass das nicht der Fall ist, mit zwei Einwänden in Frage. Zum einen glaubt er, dass die von mir gewählte zivile Vergleichsgruppe nicht gut gewählt sei. Zum anderen verweist er darauf, dass die Selbsttötungsrate bei der NVA in einzelnen Jahren höher war als im zivilen Bereich. Das nehme ich zum Anlass, um sowohl Staadts Berechnungen als auch meine eigenen Ergebnisse auf den Prüfstand zu stellen.
Die Wahl der Vergleichsgruppe
Jochen Staadt hält die von mir getroffene Wahl der Vergleichs-Kohorte (20-24jährige Männer) der DDR-Selbsttötungsstatistik für problematisch.[7] Sein Haupteinwand lautet, dass die gewählte Vergleichsgruppe zu einer Unterschätzung des Ausmaßes an Suizidalität in der Armee geführt hätte, da die Selbsttötungsraten in dieser Gruppe deutlich höher sind als in der von ihm favorisierten Vergleichsgruppe der 15-19-jährigen Männer.
Hier zeigt sich in der Tat ein Versäumnis meiner Darstellung. Ich hätte explizit begründen müssen, weshalb ich diese Vergleichsgruppe gewählt habe. Bevor ich das gleich nachhole, kurz zu Staadts Vorgehensweise: Er weist zu Recht darauf hin, dass Wehrdienstleistende in der Regel mit 18 oder 19 Jahren zum Dienst eingezogen wurden. Um die Selbsttötungsrate der Soldaten zu ermitteln, schätzt er, dass ca. ein Drittel der Suizide von Wehrdienstleistenden verübt wurde. Auch wenn diese Zahl nicht begründet wird, erscheint sie mir akzeptabel.[8] Dann nimmt Staadt den Mittelwert der Suizide der 15-19-jährigen Männer der DDR-Gesamtstatistik und vergleicht ihn mit der geschätzten Zahl der Suizide von 19-jährigen Grundwehrdienstleistenden.[9] Staadt geht offenbar von der Annahme aus, dass die Suizide innerhalb der Kohorte gleichmäßig verteilt sind, dass also die Suizidrate der 15-Jährigen etwa gleich der Suizidrate der 19-Jährigen ist.
Diese Annahme ist allerdings unzutreffend, da die Suizidwahrscheinlichkeit generell mit dem Alter ansteigt, wobei dieser Anstieg in der Gruppe der 15- bis 19-Jährigen noch stärker als in der folgenden Fünfjahreskohorte ist. Wenn Staadt also den Durchschnitt der 15 bis19-Jährigen bildet, unterschätzt er die Suizidrate der 19-Jährigen im Zivilleben. Wenn Staadt bei seiner Stichprobe vom Jahr 1969 zu dem Ergebnis kommt, dass Suizidhäufigkeit in NVA und Zivilleben etwa gleich waren, dann handelt es sich hier um eine Überschätzung der Selbsttötungsrate im Militär.
Würde man die altersabhängig ansteigende Suizidwahrscheinlichkeit mitberücksichtigen, müsste man folgern, dass die Suizidhäufigkeit im Militär der DDR etwas geringer war als im Zivilleben. Methodisch angemessener wäre gewesen, den Durchschnitt der 16 bis 25-Jährigen als Vergleichswert zu nutzen. Auch dieser Wert wäre wegen der Altersabhängigkeit noch etwas zu niedrig, würde aber zur Abschätzung der ungefähren Suizidwahrscheinlichkeit der 19 bis 20-Jährigen die bestmöglichen Ergebnisse liefern.
Warum habe ich das in meiner eigenen Untersuchung dann nicht so gemacht? Ich habe Staadts Einwände genutzt, um mein eigenes Vorgehen in der Frage der Vergleichsgruppe selbstkritisch unter die Lupe zu nehmen, und leicht zu revidieren. Zu Selbsttötungen in den Grenztruppen liegen mir Stichproben aus den Jahren 1977 und 1988 vor. Das Durchschnittsalter der durch Selbsttötung verstorbenen Angehörigen der Grenztruppen liegt in der ersten Stichprobe bei 26 und in der zweiten bei 31 Jahren. Angemessener wäre es daher, statt der von mir gewählten Vergleichs-Altersgruppe der 20-24jährigen Männer eine ältere Kohorte, oder aber den Mittelwert aus, sagen wir, den Suizidraten der 20- bis 35-jährigen Männer zu nehmen. In beiden Fällen wäre der Vergleichswert aus dem zivilen Bereich höher, das heißt, die Werte des militärischen Bereichs würden im Vergleich noch geringer erscheinen. Angesichts dessen könnte ein strenger Kritiker mir das genaue Gegenteil von dem vorwerfen, was Staadt im Sinn hat. Durch die Wahl der Vergleichsgruppe der 20-24-Jährigen habe ich die Selbsttötungshäufigkeit in der NVA leicht überschätzt. Ein milde gesonnener Kritiker würde demgegenüber vielleicht zugestehen, dass damit die leichte Untererfassung der Selbsttötungen (Dunkelziffer) kompensiert würde.
Wie hoch war die Dunkelziffer?
Die Frage nach der Dunkelziffer ist bei statistischen Berechnungen von grundlegender Bedeutung. Staadt geht diese Frage recht forsch an und postuliert eine Dunkelziffer von 100 bis 150 Prozent. Eine faktenbasierte Begründung für diesen extrem hohen Wert liefert er nicht. Dass Suizide in Todesursachenstatistiken unterrepräsentiert sind, ist ein globales Phänomen.
Wenngleich der SED-Staat die Melde- und Registrierungsmechanismen der preußischen Staatsbürokratie fortführte, weshalb die Suizidstatistik der DDR im internationalen Vergleich (inklusive der Bundesrepublik) recht gute Ergebnisse lieferte, gab es auch in der SED-Diktatur eine Dunkelziffer. Eine Geheimstudie ermittelte im Jahr 1977 eine statistische Nichterfassung von Selbsttötungen im Bereich zwischen 9 und 29 Prozent.[10] Dieses Ergebnis wurde durch mehrere retrospektive Untersuchungen in den 1990er Jahren bestätigt.[11]
Hinsichtlich der Selbsttötungen im militärischen Bereich der DDR habe ich zudem bei meinen eigenen Untersuchungen festgestellt, dass die Zahlenangaben des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die mir Bernd Eisenfeld[12] dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt hatte, bis Mitte der 1960er Jahre niedriger waren als die in den Kollegiumsprotokollen der NVA enthaltenen Suizidzahlen. Für die Folgezeit liegen die wegen unterschiedlicher Zeiträume nicht direkt vergleichbaren Zahlen in ähnlicher Größenordnung. Aber auch noch danach mag es vorgekommen sein, dass es in bestimmten Jahren eine Untererfassung oder, wie Staadt für das Jahr 1975 feststellt, temporäre Ausfälle der Berichterstattung gegeben hat, weshalb die Gesamtzahl von 204 Selbsttötungen in den Grenztruppen, die einem Jahresdurchschnitt von fünf bis sechs Fällen entspricht, da stimme ich mit Staadt überein, aller Wahrscheinlichkeit nach zu niedrig ist.
Ich habe allerdings (ebenso wie Staadt) keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die DDR-übliche Dunkelziffer (in der Größenordnung von 25 Prozent) bei den Grenztruppen überschritten wurde.
Staadt äußert lediglich den Verdacht, dass „militärische Vorgesetzte Selbsttötungen als Schusswaffenunfälle kaschierten, um ihre eigene Mitverantwortung zu verdecken“. In meiner Stichprobe zu Selbsttötungen in den Grenztruppen im Jahr 1988 ist tatsächlich ein Fall enthalten, der offiziell als Unfall deklariert wurde. Zudem habe ich den gemeldeten 11 Fällen noch einen hinzugefügt, den mir ein Zeitzeuge glaubwürdig berichtete. Dass es über solche Einzelfälle hinaus zu Vertuschungen von zahlreichen Suiziden gekommen ist, erscheint mir allerdings, nachdem ich gezielt danach gesucht habe, als ausgesprochen unwahrscheinlich.
Erhöhte Einzelwerte
Das zweite wichtige Argument von Staadt verweist auf einzelne Jahre mit erhöhten Suizidraten in der NVA. Genau genommen handelt es sich hierbei um Zufallsschwankungen. Basierend auf Staadts Überlegungen betrug beispielsweise die geschätzte Suizidrate der 18-19-jährigen Soldaten im Jahr 1979 ca. 170 Prozent der zivilen Rate, im Jahr 1980 hingegen nur 60 Prozent. Solche Schwankungen treten bei einer auf sehr kleinen Zahlen beruhenden Statistik häufig auf.
Auch ich bin in dem von mir verwendeten statistischen Material der NVA (Kollegiumsberichte) auf einzelne Jahre mit erhöhten Selbsttötungsraten gestoßen. Für die 1960er Jahre gibt es einen Bericht über die Stadtkommandantur Berlin, also die Grenztruppen an der Grenze zu Westberlin, der für den Zeitraum 1.12.1964 bis 30.11.1965 insgesamt sieben Selbsttötungen vermerkt, was bei einer Truppenstärke von 15.000 Mann eine hohe Selbsttötungsrate von 46,7 ergibt.[13] Die von mir auf der Basis von Zahlen der NVA bzw. des MfS kalkulierten Selbsttötungsraten für die NVA schwanken zwischen Werten von 20 und 35. Eine Ausnahme bildet das erste Halbjahr 1959, in dem sich aus den Meldungen sogar eine sehr hohe Suizidrate von 48 ergibt (gegenüber 35 im Vorjahr).[14]
Solchen Schwankungen darf man aber nicht zu viel interpretatives Gewicht beimessen. Um sich nicht auf spekulatives Glatteis zu begeben, habe ich für das in meinem Buch von 2006 enthaltene Diagramm jeweils zwei Jahre zusammengefasst.[15] Würde man das zum Beispiel für die von Staadt erwähnten Stichproben von 1979 und 1980 tun, dann ergäbe sich nahezu Gleichstand in der Häufigkeit der Suizide im zivilen und militärischen Bereich.
Andererseits ist es in Einzelfällen durchaus sinnvoll, nach Ursachen für vorübergehend häufigere Suizidhandlungen zu fragen. Ein Beispiel bietet das Jahr 1962. Allerdings betrifft das nur die Zahl der registrierten Selbsttötungsversuche, die unmittelbar nach dem Mauerbau und zeitgleich mit der Einführung der Wehrpflicht mit 28 deutlich höher als in den Folgejahren ausfiel. Tatsächlich tödliche Suizide wurden zehn gemeldet, was keine dramatisch hohe Zahl darstellt.[16]
Selbsttötung im Wehrdienst
Staadt zweifelt darüber hinaus auch meine Feststellung an, dass die Besonderheiten und Zwänge des Militärdienstes nicht zu Selbsttötungen in statistisch relevantem Ausmaß geführt, und dass auch Drangsalierungen im Zuge der ‚EK-Bewegung‘[17] keinen größeren Einfluss auf die Häufigkeit von Selbsttötungen gehabt hätten. (Es geht hier wohl gemerkt immer um die Selbsttötungsrate, nicht um Einzelfälle. Ich sage nicht, dass die Bedingungen in der Armee keine Suizide verursacht haben, weise aber darauf hin, dass dadurch die Häufigkeit von Selbsttötungen nicht gestiegen ist.)
Ich sehe durchaus, dass angesichts der Bemühungen von Armee und MfS, alle Selbsttötungen als Resultat von Krankheit oder privaten Problemen darzustellen, bei der Auswertung der staatlichen Akten große Skepsis geboten ist. Es ist davon auszugehen, dass vieles vertuscht wurde. Aber das berechtigt nicht, in das andere Extrem zu verfallen, und die todbringenden Effekte des Wehrdienstes zu überschätzen. Berechnet man, wie ich das bereits in meinem Buch getan habe, stichprobenartig die spezifischen Selbsttötungsraten pro Dienststellung, dann zeigen sich große Unterschiede. Für den Zeitraum Mitte 1972 bis Mitte 1973 zum Beispiel ergeben sich abgeschätzte Selbsttötungsraten von 43 für die Offiziere, 39 für die Unteroffiziere und 18 für die Soldaten. Für den Zeitraum Mitte 1987 bis Mitte 1988 lauten die entsprechenden Zahlen: 47 (Offiziere), 31 (Unteroffiziere) und 22 (Soldaten).[18]
Da die Selbsttötungswahrscheinlichkeit mit dem Alter ansteigt, dürften diese Zahlen vor allem den Altersunterschied von Soldaten und Offizieren reflektieren. Lediglich die Suizidrate der Unteroffiziere, die ja zumeist auch erst Anfang 20 sind, erscheint leicht erhöht. Hier könnten dienstliche Konflikte durchaus eine Rolle gespielt haben.[19]
Darüber hinaus zeigt ein Abgleich mit der Truppenstärke, dass die Suizidalität von Wehrdienstleistenden insgesamt geringer war als die von höheren Dienstgraden. Das gilt insbesondere auch für die Grenztruppen, wo der Anteil an Soldaten im Grundwehrdienst mit 66 Prozent höher als bei der NVA (43 bis 45 Prozent) war. Nimmt man die Stichprobe von 1988 mit insgesamt 12 Selbsttötungen, dann entfallen sechs auf Soldaten, fünf auf Unteroffiziere, hinzu kommt ein Offizier. Der Anteil der Soldaten an den Selbsttötungen (50 Prozent) liegt damit deutlich niedriger als der Anteil der Soldaten an der Truppenstärke (66 Prozent).
Angesichts dieser Befunde erscheinen – ich muss es so hart formulieren – alle von Staadt formulierten Einwände und Zweifel als unberechtigt. Wie aber ist dann die Tatsache, dass die Häufigkeit von Selbsttötungen bei den Grenztruppen (und in der NVA) nicht erhöht war, mit der Beobachtung zu vereinen, dass bei jeder vierten Selbsttötung dienstliche Konflikte eine Rolle spielten? Heißt das nicht, dass die spezifischen Kontextbedingungen des Militärs durchaus dazu beitrugen, dass sich junge Männer das Leben nahmen? Und zwar bei fast einem Viertel aller Selbsttötungen?
Die letzten beiden Fragen beantworte ich eindeutig mit Ja. Aber ich interpretiere die Situation bei der NVA so, dass es hier zu einer Substitution von Konflikten gekommen ist. Dass die Häufigkeit von Selbsttötungen bei der NVA nicht höher als im Zivilbereich war, kann nur bedeuten, dass die Konflikte bei der NVA keine stärkere, über das normale Maß der SED-Diktatur hinausgehende suizidogene Wirkung hatten, sondern dass sie nur das Äquivalent für soziale Konflikte in anderen Bereichen der Gesellschaft darstellten.[20]
Noch kurz zur Bundeswehr, weil Staadt diesen Aspekt auch kurz anreißt. Klaus-Jürgen Preuschoff hat in seiner Studie zu Selbsttötungen in der Bundeswehr gezeigt, dass die Unterschiede der Selbsttötungsrate von jungen Männern im Militär und im zivilen Bereich größer waren als in der DDR. Preuschoff zufolge waren die jeweils für Fünfjahresperioden berechneten durchschnittlichen Selbsttötungsraten zwischen 1957 und 1981 in der Bundeswehr erheblich geringer (15 bis 19) als die in der von ihm verwendeten Vergleichsgruppe der 20-24jährigen Männer (27 bis 29).[21] Als Hauptursache für die niedrige Suizidalität in der Bundeswehr nennt Preuschoff die in Fortführung der Wehrpsychologie der Wehrmacht erfolgte gründliche Auslese der Rekruten, die noch bis in die 1980er Jahre zudem dazu führte, dass suizidale Bundeswehrsoldaten wegen mangelnder „geistiger Tauglichkeit“ ausgemustert wurden.[22] In der NVA hat es Vergleichbares nicht gegeben, die Ausmusterung aus medizinischen Gründen war sehr selten, psychische Faktoren spielten kaum keine Rolle.
Fazit
Mit dem Kapitel über Suizide in den Grenztruppen hat sich das „biografische Handbuch“ aus meiner Sicht einen Bärendienst erwiesen. Die Selbsttötungshäufigkeit in der NVA, und auch in den Grenztruppen, war nicht höher als im zivilen Bereich der DDR. Die Selbsttötungsproblematik ist zu komplex als dass sie sich als Waffe im Kampf um eine möglichst dramatische Stilisierung der DDR als totalitärer Diktatur eignet. Das Leben in der DDR war in vielerlei Hinsicht bedrückend und belastend, aber die hohe Selbsttötungsrate kann man den SED-Funktionären nicht zur Last legen.
Ebenso ist die sinkende Selbsttötungsrate Ostdeutschlands nach 1990 kein Resultat der Einführung von Marktwirtschaft und Demokratie, wie das Staadt zu glauben scheint. Ich hätte mir gewünscht, dass Staadt mein „häufig als Standardwerk zitiertes Buch“ etwas gründlicher studiert hätte. Dort hätte er lesen können, dass die Angleichung der Selbsttötungsraten in Ost- und Westdeutschland keineswegs erst mit dem Ende der DDR begann. Wie die nach Altersgruppen aufgeschlüsselten Statistiken zeigen, waren die Suizidraten der nach 1949 Geborenen bereits seit 1970 in Ost- und Westdeutschland nahezu gleich.[23] Dass die Angleichung erst zu dieser Zeit in den Statistiken sichtbar wurde, war ein Kohorteneffekt. Da ältere Jahrgänge eine sehr viel höhere Suizidwahrscheinlichkeit haben als jüngere Menschen, haben die vor 1949 geborenen Kohorten die DDR-Suizidstatistik noch bis in die 1980er Jahre dominiert, und eine bereits zwanzig Jahre zuvor einsetzende Trendwende verdeckt. Warum die in der DDR geborenen Kohorten die seit dem 19. Jahrhundert nachweisbare „Tradition“ höherer Selbsttötungsraten in Ostdeutschland nicht fortgesetzt haben, konnte von der Suizidforschung bisher nicht geklärt werden. Sicher ist aber, dass der Fall der Mauer und das Ende der DDR keine starke Zäsur darstellten.
In methodischer Hinsicht ähnelt der Versuch von Staadt, einen Zusammenhang zwischen Wehrdienst und Selbsttötungsrate nachzuweisen, einer Herangehensweise, die während des Kalten Krieges etwa von Konstantin Pritzel, einem ehemaligen SED-Gesundheitsfunktionär, der ab 1951 in Westberlin beim Ostbüro der SPD und später beim RIAS tätig war, praktiziert wurde. Diese interessengeleitete Methode besteht darin, abweichende Einzelwerte überzubetonen und langfristige Durchschnittswerte zu ignorieren, um das kommunistische Regime der SED anzuklagen. Bei Pritzel ging die manipulative Instrumentalisierung von Statistiken soweit, dass er die nicht in seine Interpretation passenden Werte einzelner Jahre schlicht ignorierte und auf dieser Basis steigende Suizidraten behauptete, während der tatsächliche Trend in einer Abnahme der Suizidraten bestand.[24]
Staadt geht nicht ganz so weit, er versucht gar nicht, langfristige Entwicklungen zu diskutieren. Stattdessen stellt er eine einzelne, zudem noch hypothetische Zahl gegen meine aus dem langfristigen Durchschnitt der empirisch ermittelten Suizidraten abgeleitete Schlussfolgerung.[25] Das ist methodisch gesehen Dilettantismus, historiografisch gesehen ein Beispiel dafür, wie das von Mary Fulbrook kritisierte Festhalten an undifferenzierten totalitarismustheoretischen Normvorgaben (das mörderische SED-Regime) den Blick für die tatsächliche Komplexität historischer Phänomene, zu denen die DDR zweifellos gehört, trübt.[26]
[1] Klaus Schroeder/Jochen Staadt (Hg.), Die Todesopfer des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze 1949-1989. Ein biographisches Handbuch, Frankfurt a.M. 2017. Das Kapitel zu den Suiziden ist in geringfügig erweiterter Form abgedruckt als: „Suizide in den Grenztruppen“, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat, Ausgabe 41/2017. Darauf bezieht sich meine Entgegnung.
[2] Udo Grashoff, „In einem Anfall von Depression…“ Selbsttötungen in der DDR, Berlin 2006.
[3] Vgl. Emile Durkheim, Der Selbstmord, Frankfurt/M. 1973.
[4] Staadt hingegen glaubt, dass auch Suizide im Anschluss an Morde und andere Kriminalfälle wie der eines Offiziers, der sich erschießt, nachdem er wegen Misshandlungen von Töchtern und Ehefrau zur Stellungnahme aufgefordert wurde, zu den Opfern des Grenzregimes gezählt werden müssten. Staadt schildert weitere Fälle, die im biografischen Teil ausgelassen wurden. So erschoss sich ein Offizier, nachdem er betrunken Auto gefahren und erwischt worden war, was er in seinem Abschiedsbrief als schmähliches Versagen bezeichnete. Wieso der Oberstleutnant, der laut Schilderungen von Kollegen sowie der Ehefrau übereifrig, ehrgeizig und sehr empfindlich war, ein Opfer des Grenzregimes gewesen sein soll, erschließt sich mir nicht. Vgl. Udo Grashoff, „Ich möchte jetzt schließen“. Briefe vor dem Freitod, Leipzig 2004, S. 145f. Staadt erwähnt zudem noch, was mir nicht bekannt war, dass der Offizier als IM in der äußeren Abwehr des MfS tätig war.
[5] Michael Kubina, „Begriffliche Unklarheiten, eine Replik auf Jochen Staadt“, in: Deutschland Archiv, 27.4.2020, www.bpb.de/307841, zuletzt aufgerufen am 28.01.2021.
[6] Zwar dürften in den von der Kriminalpolizei und von Medizinern erstellten Motivstatistiken politisch brisante Motive wie soziale Konflikte im Arbeitskollektiv oder mit der Staatsmacht, ganz ähnlich wie in den Statistiken des Militärs, in manchen Fällen heruntergespielt oder verschleiert worden sein. Allerdings sind die Verfasser des Handbuches zu den Grenztruppen recht großzügig mit dem Einflussfaktor „dienstliche Probleme“ umgegangen, und haben ihn hervorgehoben, obwohl er in zahlreichen Fällen nicht die entscheidende Rolle für den Suizid spielte.
[7] Seine kritischen Anmerkungen sind leider nicht immer logisch konsistent. So behauptet er zunächst, meine Wahl würde auf ein „Nullsummenspiel“ hinauslaufen, „da für die Vergleichsgruppe der jungen Männer Wehrpflicht bestand, der sich nur wenige entziehen konnten“. Kurz danach moniert er, dass die von mir gewählte Vergleichsgruppe ein mindestens doppelt so großes Sample darstellt (was bedeutet, dass es sich keineswegs um ein Nullsummenspiel handelt).
[8] In der mir zur Verfügung stehenden Stichprobe von 1988 sind unter den zwölf Fällen drei Grenzsoldaten, die 19 Jahre alt sind. Das sind 25 Prozent, was etwas geringer ist als die Schätzung von Staadt, aber in der gleichen Größenordnung liegt.
[9] Ironischerweise führt Staadt damit genau jenes Nullsummenspiel durch, dass er glaubt bei mir entdecken zu können. Wenn (wie er annimmt) nahezu alle 19-jährigen Männer bei der Armee waren (was nicht der Fall war in der DDR), dann wäre der Vergleich tautologisch.
[10] Rainer Leonhardt/Rolf Matthesius, Zu suizidalen Handlungen in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin, Diss. Berlin 1977.
[11] Vgl. Udo Grashoff, „In einem Anfall von Depression“ (Anm. 2), S. 30f.
[12] Ökonom, Bausoldat, Kritiker der Verhältnisse in der DDR“, Von 1992 bis 2005 war Eisenfeld als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Sachgebietsleiter in der Forschungsabteilung bei der Stasi-Unterlagen-Behörde tätig (https://www.dissidenten.eu/laender/deutschland-ddr/biografien/bernd-eisenfeld).
[13] Die Selbsttötungsrate gibt die Zahl der Suizide pro 100.000 Personen pro Jahr an.
[14] BA-MA, DVW 1/55503, Bl. 157.
[15] Zunächst war das eine Konzession an die Datengrundlage, weil die Protokolle des NVA-Kollegiums teilweise nur Suizidzahlen für Zweijahresperioden enthielten, aber es diente vor allem der „Glättung“ der Kurve im Diagramm.
[16] BA-MA, VA-01/13388, Bl. 2-7.
[17] Bei der NVA gab es eine systematische Drangsalierung jüngerer Rekruten durch die „Entlassungskandidaten“ (EK).
[18] Diese Berechnungen basieren auf den Suizidzahlen der Kollegiumsprotokolle und der Solltruppenstärke von Ende 1964. Zum 1.12.1964 betrug die Sollstärke der NVA 100.863 Mann. Davon waren 49.492 Soldaten, 26.183 Unteroffiziere, 17.791 Offiziere und 91 Generäle. Zudem gab es 8.618 Zivilbeschäftigte. Die Grenztruppen, die in dieser Auflistung nicht enthalten sind, bestehen zum gleichen Zeitpunkt aus 48.468 Mann, davon sind 31.963 Soldaten, 9.382 Unteroffiziere und 5.557 Offiziere. GKdos Nr. A/05086 (BA-MA, VA-01/18973). Die Akte war bei Vorlage noch versiegelt, und der Archivar kam mit einer Schere und bat mich, die Siegelschnur durchzuschneiden. Der Soldatenanteil bei den Grenztruppen war mit 66 Prozent deutlich höher als bei der NVA. In der gesamten NVA lag der Anteil der Soldaten in den 1980er Jahren zwischen 43 und 45 Prozent. BA-MA, AZN 31407. Sollte die Zahl der tatsächlichen Selbsttötungen höher gelegen haben, würden sich die Zahlenwerte erhöhen. Da die Truppenstärke aber bis Mitte der 1980er Jahre auf 167.000 angestiegen ist, sind die berechneten Werte aber eher zu hoch, weshalb beide Fehlermöglichkeiten abwägend angenommen werden kann, dass die Werte in der Mitte eines Wahrscheinlichkeitskorridors liegen.
[19] Vgl. Grashoff, „… In einem Anfall von Depression“, S. 88-90.
[20] Der Vollständigkeit halber möchte ich noch einen Irrtum korrigieren. Staadt behauptet in Fußnote 35, ich würde mich bei meiner Interpretation des Suizids eines Bausoldaten „ausgerechnet“ auf ein Telefonat mit Prof. Girod berufen. Das beruht auf einem Lesefehler, Staadt hat die Fußnoten 172 und 173 in meinem Buch verwechselt.
[21] Klaus-Jürgen Preuschoff, Suizidales Verhalten in deutschen Streitkräften, Regensburg 1988, S. 253.
[22] Ebd., S. 388, vgl. auch S. 447.
[23] Vgl. Armin Schmidtke/Bettina Weinacker/Susanne Fricke, Suizid- und Suizidversuchsraten bei Kindern und Jugendlichen in den alten Ländern der Bundesrepublik und in der ehemaligen DDR, Kinderarzt 27 (1996), S. 151-62.
[24] Vgl. Konstantin Pritzel, Der Selbstmord im sozialistischen Paradies, in: Berliner Ärzteblatt 90 (1977) 24, S. 1108-1114.
[25] So schätzt er, dass es im Jahr 1968 in der NVA 14 Suizide Wehrdienstleistender gab, was über der ebenfalls geschätzten Zahl der Suizide 19-Jähriger im zivilen Bereich lag.
[26] Vgl. Mary Fulbrook, ‘Reckoning with the Past: Heroes, Victims and Villains in the History of the German Democratic Republic’, in: Reinhard Alter/Peter Monteath (Hg.), Rewriting the German Past, Humanities Press, 1997.
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Dreyman’s misperception
(London, 5. December 2014. This is a more personal version of a UCL SSEES research blog entry.)
Sometime in 2005, I was about to leave my flat when the telephone rang: it was a woman asking for my advice. She introduced herself as the assistant of a West German filmmaker who was not very familiar with the German Democratic Republic, but wanted to make his film on this theme as authentic as possible. The topic of my doctoral thesis had been suicide in the GDR, so what the assistant wanted from me was to look over the text of a funeral oration, which was going to be given in the film. She made it clear that the matter was urgent and asked me if I would listen to it over the phone.
In the eulogy, playwright Georg Dreyman accuses the GDR of coldheartedly ignoring those who commit suicide. Shaken by the suicide of a colleague, Dreyman claims that the GDR authorities stopped compiling suicide statistics in 1977. I explained to the filmmaker’s assistant that the situation was more complicated. Apart from the period between 1956 and 1962, suicide statistics were not published. Nevertheless, the ‘State Central Bureau for Statistics’ recorded suicides with Prussian efficiency and accuracy, keeping them strictly secret. What is more, in 1968 the Ministry of Health launched a strategy for the prevention of suicide in the GDR. Two suicide prevention centres were founded. Apart from in professional journals, however, there was no public discussion of the topic and after 1977 even this was hampered.
That said, the assumptions of a non-professional like Dreyman seemed to me realistic, and I advised the filmmaker’s assistant to leave the text as it was. In 1986 the average inhabitant of the GDR simply could not have known what I was able find out in my research after the wall came down.
In all honesty, after the telephone conversation, I did not expect to hear of the film again. So it was to my surprise that the film became a worldwide hit: ’The Lives of Others’ turned out to be the film that helped shape the image of the East German dictatorship, far more than the many academic books on the history of the GDR. In newspaper reviews, the film was judged to be highly authentic, not least because of its use of historically accurate locations like the Stasi prison in Berlin-Hohenschoenhausen and because of its choice of actors. It was, in part, the film’s meticulous reconstruction of life in the GDR, right down to the tiniest detail (thanks to the expert advice of Manfred Wilke and other historians) that made Florian Henckel von Donnersmarck’s debut film a worldwide success.
Of course, some critics raised objections. On one hand, Slavoj Žižek felt that the film failed to show the ‘true horror’ of the dictatorial system. On the other hand, Mary Fulbrook complained that the story did not ‘present the GDR in all its complexities’. And Anna Funder doubted that a Stasi officer would have been able to smuggle false information into Stasi files in order to protect a victim.
Leaving these objections regarding plot and character aside, one aspect was not discussed at all: the film created the impression that the high suicide rate of the GDR was a direct result of political oppression.
In the film, following the publication of Dreyman’s article on suicide in the GDR in the Hamburg-based ‘Spiegel’ magazine, West German TV news links the GDR suicide rate with a number of recent suicides of East German artists. I can’t remember whether the filmmaker’s assistant had mentioned this particular part of the film during our phone conversation. But if she had mentioned it, again I would have argued that no changes would have been necessary, because such a report embodied the typical perception of the GDR in the West - at least that of the few journalists and politicians who were still interested in emphasising the dark side of socialism even in the era of détente and the ‘New Ostpolitik’. These people were convinced that political oppression behind the wall increased the likelihood of suicide.
Presumably a large percentage of the film’s audience similarly assumed that Dreyman’s colleague - who hanged himself after being banned from his profession for several years - was a representative case, the tip of the iceberg, one of thousands of invisible desperate acts.
When I started my research, I have to admit that my own presumptions were not entirely different. I had experienced the last years of the ramshackle GDR as a depressing time. The refusal of the SED leadership to risk even the slightest reform provoked disappointment and a feeling that there was ‘no future’. The adolescent poetry I wrote at that time contains the following sort of gloomy verses:
‘The whales are swimming blindfold to the beaches
They simply want to die, nothing but to die
The world is a heap of shards
Showing us her gashed hands
Which now are bleeding with big red drops
While this day is losing lightness [...]’
With hindsight, it strikes me that the adolescent that I was used such metaphors even though I was not suicidal and did not intend to finish life in an untimely fashion.
This fundamental difference between a metaphorical discourse about suicide (as a shocking representation of suffering) and the deadly serious reality, is one that I learned during my research and one that also applies to suicide in the GDR. The suicide rate in East Germany was, indeed, consistently 50 per cent higher than in West Germany. But the accusation that oppression drove walled-in East Germans to suicide proves dubious when one looks at the statistics in a broader geographical and historical context. European countries like Austria, Czechoslovakia, Denmark, Hungary and Finland also had high suicide rates, despite their different political systems. And, looking back to the Weimar republic, and further back to the German Empire, suicide rates in the region that later became the GDR were consistently higher than the suicide rate in Western Germany.
In spite of these seemingly rational explanations, I was still not satisfied, since as many as 6,000 suicide cases were registered every year in the GDR. Might there not be a shocking truth behind this aggregated number? What about prisoners, soldiers, school pupils? I felt I had to dig deeper in order not to overlook the victims. Here is not the place to go into how I managed to obtain reliable statistics. But the result was surprising once again. In prisons, there was a relatively high suicide rate around 1960, but in the 1970s the rate was almost the same as the country’s average. My investigations into the army yielded the same result. Regarding the youth, I found a markedly higher suicide rate compared to West Germany until ca. 1970. But the generation of young people who were born in the GDR showed almost no difference to their West German counterparts.
No negative effects of political oppression? What about cases like Dreyman’s collegue who hanged himself after after being banned forom his profession for several years? I investigated individual cases, conducted interviews, read Stasi and police files and farewell letters. What I came to understand is that the decision to commit suicide is a very complex phenomenon and personal elements are far much more influential than political.
Of course, there were exceptions. At certain brief historical moments, politically motivated ‘anomic’ suicides were common, for instance during the forced collectivisation in spring 1960 when dozens of peasants committed suicide due to psychological terror. But in general, the SED was not to blame for the high suicide rate. Nevertheless, the party tabooed suicide and hindered suicide prevention. Moreover, by sweeping the issue under the carpet, the SED provoked far-reaching suspicions that were fuelled by tragic individuals who attracted attention in the West.
In this sense, Dreyman’s false suspicion - put into a historical context - was correct.
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